Nach dem kurzen Abstecher zum Tachismus vorgestern, heute wieder zurück zur Konkreten Kunst und zurück nach Brasilien:
1952 gründen die drei brasilianischen Lyriker Augusto de Campos, Haroldo de Campos und Décio Pignatari in São Paulo die Grupo Noigandres. Diese Gruppe widmet sich der Konkreten Poesie. Die Konkrete Poesie macht die Sprache an sich zum Mittel und Zweck der Lyrik. Sprache stellt sich selbst dar – Möglichkeiten der Darstellung und Gestaltung der Sprache sind somit wichtiger Bestandteile Konkreter Poesie.
Hier ein Beispiel von Konkreter Poesie von Christian Morgenstern zur Veranschaulichung:

Christian Morgenstern, Die Trichter, 1905
Zurück nach Brasilien: 1956 wird im Museum für Moderne Kunst in São Paulo (Museu de Arte Moderna MAM), die Ausstellung „Exposição Nacional de Arte Concreta“ eröffnet. Hier treffen Konkrete Poesie und Konkrete Kunst zusammen. Die Ausstellung erweist sich als sehr bedeutsam für die brasilianische Kulturszene der Zeit. Sie etablierte die Begriffe „Konkrete Kunst“ und „Konkrete Poesie“ in einer breiten Öffentlichkeit.
Es war tatsächlich die erste Ausstellung in Brasilien, in der Gemälde, Skulpturen und Poster mit Gedichten nebeneinander ausgestellt wurden. Somit gibt die Ausstellung den Besuchern die Möglichkeit, die Eigenschaften zu erkunden, die sowohl bildende Künstler als auch Dichter dazu veranlassen, das gleiche Etikett für ihre Arbeit zu verwenden.
Die Ausstellung findet in einer Zeit statt, in der die konkreten Künstler in Brasilien – obgleich in verschiedenen Gruppen zusammengeschlossen – noch ihre Gemeinsamkeiten in den Vordergrund stellen und gemeinsam für Konkrete Ideen kämpfen. Die Dichter der Grupo Noigandres präsentieren ihre Konkrete Poesie neben Werken der Künstler der Grupo Ruptura aus São Paulo und der Künstler der Grupo Frente aus Rio. Die Ausstellung ist schließlich auch der Anlass für alle Beteiligten, den Anspruch zu bekräftigen, die Avantgarde in der Poesie und den bildenden Künsten zu vertreten, wie schon die Titel, die die Künstlergruppen bei ihrer Gründung 1952 gewählt hatten, bereits angekündigt: „Ruptura – Aufbruch“ und „Frente – Front“. Allerdings entscheiden sich nicht lange nach der Ausstellung die Künstler und Dichter aus Rio aus ideologischen Gründen mit den Künstlern aus São Paulo zu brechen. Sie erklären sich fortan selbst als „Neoconcretos“.
Zu den Neokonkreten demnächst einmal mehr.