Tatlin, Malewitsch, Kandinsky und Co. – russische Ideen kommen nach Deutschland

Vorgestern habe ich über den Einfluss des Konstruktivismus auf die westlichen Künstler geschrieben. Hier nochmals ein Artikel, über die enge Verbindung und gegenseitige Einflussnahme der Künstler aus Russland und Deutschland nach dem ersten Weltkrieg:

„Die Oktoberrevolution hatte die alte, zaristische Ordnung hinweggefegt, und in Deutschland schien nach der Flucht Kaiser Wilhelms II. und dem Kieler Matrosenaufstand Ähnliches bevorzustehen. Nach dem Vorbild der Sowjets gründete sich ein Arbeitsrat für Kunst, nach der deutschen Novemberrevolution die Novembergruppe. Es gab wenige namhafte Künstler und Architekten, die nicht einer der beiden Vereinigungen angehörten. Die Üecht-Gruppe (althochdeutsch für Morgendämmerung) um Oskar Schlemmer und Willi Baumeister, die Paul Klee an die Stuttgarter Akademie holen wollte, bezeichnete sich auch als lokale Sektion der Novembergruppe. In Berlin ließen sich George Grosz und William Heartfield 1920 auf der Ersten Internationalen Dada-Messe mit einem Schild fotografieren, auf dem stand: „Die Kunst ist tot. Es lebe die neue Maschinenkunst Tatlins.“

Wladimir Tatlin, mit Malewitsch seit 1911 bekannt, hatte durch abstrakte Reliefbilder aus Pappe, Draht, Eisen und Email auf sich aufmerksam gemacht. … Malewitsch selbst war Vorsitzender der Kunstabteilung des Moskauer Stadtsowjets geworden, außerdem Aufseher der Kunstsammlungen des Kremls, „Meister“ an den aus der Kunsthochschule hervorgegangenen Zweiten Staatlichen Freien Kunstwerkstätten sowie Professor in Leningrad.

Wladimir Tatlin, Hausanstreicher, 1913, (c) gemeinfrei

Von Marc Chagall an eine Volkskunstschule nach Witebsk, heute Weißrussland, berufen, setzte er auch dort seine Vorstellungen durch. In Witebsk lehrte auch El Lissitzky, der an der Technischen Hochschule Darmstadt Architektur studiert hatte und dann auch die Architekturabteilung der Hochschule in Moskau leitete. Er entwarf eine dynamische, zwölf Meter hohe Rednertribüne für Lenin. „Schlagt die Weißen mit dem roten Keil“ lautet der Titel eines seiner suprematistischen Bilder.

Mit Wassily Kandinsky, der beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs von München nach Moskau zurückgekehrt war, arbeitete Lissitzky in der Abteilung Bildende Kunst des Volkskommissariats für Bildungswesen in Moskau zusammen. Kandinsky kehrte 1921 nach Deutschland zurück und wurde kurz darauf ans Bauhaus berufen. Lissitzky, der später eine deutsche Kunsthistorikerin heiratete, pendelte zwischen der Sowjetunion und Deutschland hin und her. Er kannte viele westliche Künstler, die durch ihn von den revolutionären Neuerungen in Russland erfuhren, unter anderem durch die Erste Russische Kunstausstellung 1922 in Berlin. Die geometrisch-abstrakten Richtungen der holländischen Künstlergruppe De Stijl und des Bauhauses sind ohne die russischen Vorbilder nicht denkbar.“

Quelle: Dietrich Heißenbüttel, „Revolution im Quadrat“, unter: Kontext: Wochenzeitschrift Online vom 01.11.17, https://www.kontextwochenzeitung.de/, aufgerufen am 26.04.2018

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