Dieser Text von Margit Weinberg Staber ist einer Einführung in die Konkrete Kunst entnommen. Sie geht der Frage nach, wovon die Konkrete Kunst handelt. Hier ein Auszug:
„Von Farben und Formen, vom Raum, auch von Bewegung und Licht. Operative Mittel, die den Reigen der Elemente steuern, sind Systeme und Serien, Raster und Modul. Es geht um Ordnung, Gleichgewicht, Maßverhältnisse im Wechselspiel mit Unordnung, Instabilität Störung, ja: Auflösung, Abweichung und Zufall. Neuerdings assoziieren Künstler sich mit der Chaostheorie und den Fraktalen. wie sie zuvor schon die Wahrscheinlichkeitstheorie, Gruppentheorie, Mengenlehre, Topologie, strategische Spiele, Wärmelehre, serielle Abläufe in ihre Gedankenwelt einbezogen haben. … Max Bill wollte in späteren Jahren die pathetische Formulierung von der ‚Mathematischen Denkweise in der Kunst unserer Zeit‘ durch die einfachere Formulierung ‚bildnerische Logik‘ ersetzen. Allerdings möchte man eine solche weder Rembrandt noch Cezanne absprechen: doch in Reinkultur ist sie Domäne der Konkreten. Theo van Doesburg der Erfinder des Begriffes ‚Konkrete Kunst‘, machte bereits 1923 die interessante Unterscheidung zwischen Komposition und Konstruktion. Anstelle eines Willkürlichen ästhetischen und instinktiven Zusammenstellens der Bildelemente trete eine gesetzmäßige, auf das Ganze bezogene Planung. Die Zeit herantastender Abstraktion sei vorbei, endlich breche die Ära der eigenen Mittel und Gesetze an, abgelöst von jeglichem Vorbild in der äußeren Wirklichkeit. …
Bei van Doesburg, der von De Stijl und dem mit Mondrian geteilten Neoplastizismus herkommt. findet sich auch der Gegensatz von Dekonstruktion und Konstruktion. Weg mit alten Zöpfen, bei Null anfangen, um eine neue Kunst zu erfinden, universal im Anspruch, eine Weltkunst dank dem überall verstandenen Code der Geometrie. Stilistische Unterscheidungen werden obsolet, und man könne deshalb auch von einem ‚Unstil‘ sprechen. In diesem Punkt freilich hat sich der große Avantgardist und Propagandist der Moderne, der mit einem Fuß im Dadaismus stand, gründlich geirrt. Konkrete Kunst wurde zu einem Stil unter geometrisierten Stiltendenzen, und die Sprache der Geometrie insgesamt hat langsam und beharrlich die Gegenwart erreicht.“
Quelle: Margit Weinberg Staber, „Stille Orte der Geometrie“, in: „Konkrete Kunst in Europa nach 1945“, hrsg. v. Museum im Kulturspeicher Würzburg, Ostfildern Ruit, 2002, S. 70

Theo van Doesburg, Composition XX, 1920 (CC0)