Vorgestern habe ich Raoul de Keyser hier vorgestellt und erwähnt, dass seine Werke oft zur sogenannten provisorischen Kunst gezählt werden. „Provisorische Kunst“ ist eigentlich weder eine Kunstrichtung noch genau definiert. Zumindest aber lässt sich sagen: Die provisorische Kunst ist eine Kunstform, die sich durch ihre Flüchtigkeit und Spontaneität auszeichnet. Im Gegensatz zu traditionellen Kunstwerken, die auf Dauerhaftigkeit ausgelegt sind, entstehen provisorische Kunstwerke oft im Hier und Jetzt. Sie sind eng verbunden mit dem Ort und dem Moment ihrer Entstehung und nutzen häufig Materialien, die nicht explizit für die Kunstproduktion vorgesehen sind. Alltägliche Gegenstände, die oft als Abfall betrachtet werden, finden hier eine neue Bedeutung. Ob ein Stück Holz, ein Plastiksack oder ein alter Reifen – alles kann zum Ausgangspunkt eines Kunstwerks werden. Diese Wahl der Materialien unterstreicht nicht nur die Idee des Provisorischen, sondern verweist auch auf eine kritische Auseinandersetzung mit Konsum und Wegwerfgesellschaft.
Die Ästhetik der provisorischen Kunst ist geprägt von einer gewissen Rohheit und Unvollkommenheit. Sie ist nicht an Perfektion gebunden, sondern manifestiert vielmehr die Unvollendetheit und das Ungewöhnliche. Oft wirkt sie wie ein Schnappschuss eines Moments, eingefangen und festgehalten. Die provisorische Kunst ist ein Spiel mit dem Zufall, wobei unvorhergesehene Ereignisse und Materialien den Entstehungsprozess mitbestimmen.

Raoul De Keyser, 2009
Quelle: WikiArt, (c) FairUse
Die Wurzeln der provisorischen Kunst lassen sich bis in die Avantgardebewegung des frühen zwanzigsten Jahrhunderts zurückverfolgen. Künstler wie Marcel Duchamp oder die Dadaisten hinterfragen die traditionellen Vorstellungen von Kunst und schaffen Werke, die oft aus alltäglichen Gegenständen bestehen. In den sechziger und siebziger Jahren erlebte die provisorische Kunst mit der Fluxus-Bewegung und der Land Art eine erneute Blüte.
Die provisorische Kunst hat enge Verbindungen zu anderen Kunstformen wie der Performance Art, der Land Art und der Street Art. In der Performance Art wird der Körper des Künstlers zum Medium, und die Kunstwerke entstehen oft in direkter Interaktion mit dem Publikum. Die Land Art nutzt die Natur als Leinwand und schafft großflächige Installationen, die oft nur von kurzer Dauer sind. Die Street Art hingegen besetzt den öffentlichen Raum und hinterlässt ihre Spuren an den unterschiedlichsten Orten.
Die Bedeutung der provisorischen Kunst geht aber über die ästhetische Wirkung hinaus. Die provisorische Kunst stellt grundlegende Fragen nach dem Wert von Kunst und nach den Bedingungen ihrer Entstehung. Ihre vermeintliche Einfachheit fordert von den Betrachtenden, das Besondere im Alltäglichen zu sehen. Gleichzeitig ist sie aber oft auch ein Kommentar zur gesellschaftlichen Realität und kann auf politische oder soziale Missstände aufmerksam machen.
Sehr informativ und für mich persönlich hilfreich, da ist ein Beitrag eigenen Standortbestimmung darstellt.
Liebe Grüße
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Die Wurzeln der provisorischen Kunst kenne ich. Gehört auch nicht die Arte povera dazu?
Grundsätzlich kann man natürlich ein neues Schild aufmachen wie die „provisorische Kunst“, allein schon wegen der Zeitenläufe. Man sah das auch bei Gattungen wie der Landschaftsmalerei in Holland etwa, die durch eine andere Zeit und etwas anderes Sujet sowie Technik sich wandelten und neu definierten.
Witzig finde ich in diesem Zusammenhang Landschaftsmaler der 2ten oder 3ten Generation, die plötzlich wieder im Grunde wie ihre Urväter malen, mit kleinen Abweichungen.
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Vielen lieben Dank für Deine Ergänzungen. Bin tatsächlich schon einige Tage mit der provisorischen Kunst beschäftigt und tatsächlich habe ich mich ebenfalls gefragt, wie es um die Verwandtschaft zur Arte Povera steht, die durchaus ersichtlich ist. Allererdings ist die Arte Povera vielleicht doch mehr eine „arme“ Kunst als eine „provisorische“, da der Einsatz von einfachen Materialien zur Erstellung eines Kunstwerkes verwendet werden und nicht – wie vielleicht eher bei der provisorischen Kunst – die Alltagsgegenstände zur Kunst gemacht werden. Aber wie dem auch sei, eine genaue Abgrenzung wird es wohl nicht geben. Wünsche Dir einen schönen Abend!
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In den letzten tagen lernte ich auch ein wenig über geistige Strömungen als Hintergrund für Kunstgattungen. Insofern kann man „Ergebnisse der Kunst“ , auch wenn sie sich äußerlich gleichen mögen, nicht unbedingt gleichsetzen.
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