Vor vier Tagen habe ich hier die japanische Gutai-Gruppe vorgestellt. Wenn von der Gutai-Gruppe die Rede ist, fällt sein Name gängigerweise zuerst: Jirō Yoshihara. Er ist nicht nur Gründer, sondern auch der geistige Motor der Bewegung. Ohne ihn gäbe es Gutai in dieser Form nicht. Er fordert seine Schüler auf, radikal zu denken, Traditionen zu sprengen und das Risiko des Neuen einzugehen. Sein berühmter Satz klingt bis heute nach: „Mache etwas, das noch nie zuvor gemacht wurde.“
Jirō Yoshihara wird 1905 in Osaka geboren. Er wächst in einer wohlhabenden Familie auf, die ihm früh Zugang zu Bildung und Kultur eröffnet. Schon in den zwanziger Jahren beginnt er zu malen, zunächst beeinflusst vom westlichen Impressionismus, später von der abstrakten Kunst, die damals in Europa für Aufsehen sorgt. Jirō Yoshihara ist neugierig, offen, experimentierfreudig – Eigenschaften, die ihn ein Leben lang prägen werden.
In den dreißiger- und vierziger Jahren lebt er in Japan in einer Zeit der politischen Restriktionen und des Krieges. Die künstlerische Avantgarde hat es schwer, freie Räume sind selten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs öffnet sich die japanische Kunstszene neu, und Jirō Yoshihara erkennt die Chance, radikal andere Wege zu gehen.
1954 gründet er dann in Ashiya, einer Stadt zwischen Osaka und Kobe, die Gutai Bijutsu Kyōkai („Konkrete Kunstvereinigung“). Er versammelt eine ganze Reihe teils sehr junger Künstlerinnen und Künstler in der Gruppe. Er selbst ist da schon fast 50 – doch gerade diese Mischung aus Erfahrung und jugendlicher Radikalität macht die Gruppe stark. Jirō Yoshihara agiert als Mentor, gibt den Jüngeren Raum, kontrolliert sie aber nicht. Er lenkt, ohne zu dominieren. Er skizziert seine Ideen im Manifest der Gruppe: Gutai Manifest
International öffnet Jirō Yoshihara die Türen für die Gruppe. Er knüpft beispielsweise Kontakte zum französischen Kritiker Michel Tapié, der das Informel propagiert, und beide sorgen gemeinsam dafür, dass Gutai schon in den fünfziger Jahren im Westen sichtbar wird. Unter seiner Führung tritt die Gruppe nicht als isoliertes Phänomen auf, sondern als Teil eines globalen Dialogs.
Seine Rolle ist nicht die des lautesten Performers oder spektakulärsten Malers. Vielmehr ist er das Bindeglied: Er hält die Gruppe zusammen, gibt ihr eine klare Richtung und sorgt für eine kontinuierliche Entwicklung. Bis zu seinem Tod 1972 bleibt er der unangefochtene Mittelpunkt. Mit ihm endet dann aber auch die erste Ära von Gutai.
Eine englischsprachige Einführung in das Werk von Jirō Yoshihara: