Noriyuki Haraguchi und die raue Materialität der modernen Welt

Noriyuki Haraguchi wird 1946 in Yokosuka geboren, einer Stadt mit einer großen US-Militärbasis. Die Präsenz von Militär, Maschinen, Öltanks und technologischer Infrastruktur prägt seine visuelle Welt früh – und sie wird später zu einem der Kernmotive seiner Kunst. Anders als viele seiner Zeitgenossen sucht Noriyuki Haraguchi die Schönheit nicht im Erhabenen oder Abstrakten, sondern in der rauen Materialität der modernen Welt.

In den späten sechziger-Jahren studiert er Kunst in Tokio und findet dort Anschluss an die Mono-Ha Bewegung. Noriyuki Haraguchi ist einer der zentralen Vertreter dieser Bewegung, doch er nimmt eine Sonderrolle ein. Während viele Mono-ha-Künstlerinnen und Künstler mit Naturmaterialien wie Stein, Holz oder Erde arbeiten, verwendet Noriyuki Haraguchi industrielle Stoffe: Stahl, Gummi, Öl, Maschinenkomponenten.

Sein berühmtestes Werk entsteht 1971: „Oil Pool“. Die Installation besteht aus einem flachen, rechteckigen Stahlbecken, gefüllt mit schwarzem Motoröl. Die Oberfläche ist vollkommen glatt, ruhig wie ein Spiegel – ein Spiegel, der nicht reflektiert, sondern absorbiert. Die Tiefe des Öls wirkt unheimlich, gleichzeitig hypnotisch. Das Werk ist materialisierte Schwere: ein Objekt, das zugleich präsent und ungreifbar erscheint. Mit „Oil Pool“ wird Haraguchi international bekannt. Das Ölbecken wird zu einem Schlüsselwerk der globalen Kunstszene: Es verbindet Minimalismus, Industrialität und ökologisches Bewusstsein zu einem kraftvollen Bild der Moderne.

In den siebziger- und achtziger Jahren entstehen Skulpturen aus wiederverwendeten Stahlteilen, Flugzeugteilen, Panzerresten. Er demontiert Maschinen, setzt sie neu zusammen, formt daraus abstrakte Körper. Diese Objekte tragen Spuren von Gebrauch, Verschleiß und Geschichte – sie sind stille Zeugen einer technisierten Welt. Für Noriyuki Haraguchi ist Material nie neutral. Stahl hat Gewicht, Öl hat Geruch, Gummi hat Widerstand. Er erforscht, wie diese Eigenschaften den Raum prägen. Seine Arbeiten sind keine ästhetischen Kompositionen, sondern physische Situationen, die den Betrachter in ein Verhältnis zu Masse, Tiefe und Oberfläche setzen.

Trotz der Schwere seiner Materialien besitzt Noriyuki Haraguchi Werk eine poetische Seite. Der schwarze Spiegel des Ölbeckens wirkt wie ein Fenster in eine andere Realität; seine Stahlobjekte erinnern an Relikte einer vergangenen Zukunft. Er verbindet Industrieästhetik mit kontemplativer Ruhe – ein Gegensatz, der seine Kunst einzigartig macht.

Mehr zu Noriyuki Haraguchi in seinem Webauftritt: Haraguchi

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