Vor ein paar Tagen habe ich bereits Mike Nelson vorgestellt. Mit seinen immersiven, oft beklemmenden Installationen hinterfragt er gesellschaftliche Strukturen und unsere Wahrnehmung von Raum, Geschichte und Identität. Seine Arbeiten erinnern oft an Filmsets oder literarische Szenarien, in denen sich die Betrachtenden wie eine Figur in einer ungeschriebenen Geschichte fühlen. Sie fordern das Publikum auf, nicht nur visuell, sondern auch körperlich mit der Kunst zu interagieren, da das Durchschreiten und Erkunden der Räume ein wesentlicher Bestandteil der Erfahrung ist.
Mike Nelsons Werk I, Impostor (2011) ist so eine komplexe, begehbare Rauminstallation, die das Publikum in ein labyrinthisches, rätselhaftes Setting eintauchen lässt. Sie wurde für den britischen Pavillon der Biennale von Venedig geschaffen und ist eine der eindrucksvollsten Installationen des Künstlers:
Die Arbeit basiert auf einer früheren Installation Mike Nelsons mit dem Titel Magazin: Büyük Valide Han, die er 2003 in Istanbul realisiert. Anstatt jedoch einfach eine Rekonstruktion zu präsentieren, schafft Mike Nelson in I, Impostor eine Art Spiegelung oder Wiedergeburt seines früheren Werkes. Die Installation besteht aus einer dichten Abfolge von Räumen, engen Korridoren und verwinkelten Durchgängen, die an alte Werkstätten oder Lagerräume erinnern. Der Besuchende betritt eine Welt, die wie eine Mischung aus Realität und Fiktion erscheint, voller staubiger Oberflächen, vergilbter Wände und angedeuteter Spuren menschlicher Präsenz. Die Erfahrung von I, Impostor ist zutiefst immersiv: Der Besuchende muss sich aktiv durch das Werk bewegen, neue Räume erkunden und seine eigene Position im Raum ständig neu bewerten. Dadurch wird die Installation nicht nur zu einem physischen, sondern auch zu einem mentalen Erlebnis.
Mike Nelson verwendet für diese Installation gefundenes Material, Holz, Möbelstücke und Alltagsgegenstände, um eine Atmosphäre der Verlassenheit und Vergänglichkeit zu erzeugen. Die Räume wirken, als hätten sie eine Vergangenheit – als ob sie von unbekannten Bewohnern einst genutzt wurden, bevor sie plötzlich verschwanden. Diese Spurensuche macht I, Impostor zu einem faszinierenden Spiel mit Erinnerung und Identität.
Ein zentrales Konzept des Werkes ist das Thema der Wiederholung und Verfremdung. Indem Mike Nelson eine frühere Arbeit in einem völlig neuen Kontext rekonstruiert, stellt er Fragen zur Authentizität und zum Verhältnis zwischen Original und Kopie. Wer ist hier der „Impostor“, also der Hochstapler oder Betrüger? Ist es der Künstler, der seine eigene Arbeit nachbildet? Ist es das Werk selbst, das sich in einem neuen Rahmen neu erfindet? Oder ist es vielleicht der Betrachter, der sich in diesem labyrinthischen Setting verliert und seine eigene Wahrnehmung infrage stellt?